Nichts ist für die Ewigkeit – da beißt die Maus keinen Faden ab. Um das zubegreifen, muss man nicht die thermodynamischen Lehrsätze studieren, es genügt der tägliche Blick in den Spiegel oder ins…
Mehr erfahrenHerr von Langwerth, wie kam es dazu, dass Ihre Familie nach mehr als 550 Jahren das eigene Weingut im Rheingau aufgab?
Das hatte folgenden Grund: Die Pflege und Instandhaltung historischer Anwesen wie dem Langwerther Hof in Eltville sind mit einem Aufwand verbunden, der heutzutage durch unsere traditionellen Kerngeschäfte Weinbau und Landwirtschaft allein nicht mehr zu finanzieren ist. Wir sind durch diese Belastung in ein Fahrwasser geraten, dass es mir unmöglich machte, irgendetwas aktiv zu gestalten, was mir persönlich jedoch sehr wichtig ist. Ich erachte es nicht für sinnvoll, die Dinge auf Biegen und Brechen weiterzuführen, weil das vielleicht schon immer so gemacht wurde. Ich möchte auch mit Blick auf die Zukunft und die nächste Generation, sprich meine Söhne, einen eigenen Weg gehen. Deshalb musste ich etwas an dem ganzen Konstrukt verändern. Und das lief letztlich darauf hinaus, diese belastende Immobilie und damit auch das eigentliche
Weingut aufzugeben, die wertvollen Weinberge aber in jedem Fall zu behalten. Zudem haben wir uns in dem Zuge auch insgesamt neu strukturiert und unseren Hauptsitz nach Norddeutschland verlegt.
"Schon immer lief mal die Zuckerrübe besser und mal der Wein. Deshalb halten wir beide Standbeine zusammen."
Bedeutet dieser Schritt nicht einen tiefgreifenden Bruch mit der Familiengeschichte? In Eltville lag schließlich der historische Stammsitz.
Ja und nein. Auch in der Vergangenheit gab es immer wieder die Überlegung, sich auf einen Wohnsitz zu konzentrieren. Die Situation war schon immer die, dass wir sowohl über unseren Stammsitz im Rheingau verfügten – mit dem Weinbau im Zentrum – als auch über das Gut in Wichtringhausen bei Hannover mit der Forst- und Landwirtschaft. Dort haben auch schon meine Vorfahren immer sehr gerne gelebt, aber da war natürlich immer die nicht geringe Entfernung zu überwinden. Das Positive heute ist, wenn man so will, dass mich nur eine vierstündige Autofahrt von beiden Standorten trennt – meine Vorfahren waren da zwei Wochen mit der Kutsche unterwegs. Die konnten also gar nicht so oft hin und her wie ich. Allerdings ist sicherlich auch die Welt schnelllebiger geworden. Man muss heute in vielen Bereichen schneller entscheiden und handeln.
Wäre es dann nicht am besten gewesen, schon vor Generationen die Entscheidung zu treffen, eines der beiden Standbeine aufzugeben?
Keinesfalls. Auf einem Bein steht man ja bekanntlich schlechter. Das Gute an den beiden Betrieben war historisch betrachtet, dass sie sich wirtschaftlich immer gegenseitig gestützt haben. Mal lief sozusagen die Zuckerrübe besser, mal der Wein. Deshalb wurde ja auch immer viel Wert darauf gelegt, beides zusammenzuhalten. Und dieses Prinzip stand auch für mich nie zur Diskussion, weshalb wir ja auch jetzt weiterhin Weinbau betreiben. Es war nie die Idee, diese bedeutende Ära einfach zu beenden. Eine solche Entscheidung hätte ich sicherlich nicht treffen wollen. Wenn man auf etwas zurückblickt, das seit 1464 Bestand hat und einem überantwortet wurde, dann fühlt man sich dem natürlich verpflichtet. Und so wollten wir einen Weg finden, auch weiterhin Wein zu erzeugen, wenn auch jetzt in anderer Form. Aber da bin ich ganz optimistisch.
Wie erzeugt man Wein ohne Weingut? Das klingt ja zunächst mal paradox ...
Im Prinzip ganz einfach. Wir haben uns ein Partnerweingut gesucht, das einerseits unsere Lagen pachtet, um dort eigene Weine zu produzieren, andererseits aber auch Weine in unserem Auftrag und nach unseren Vorgaben an- und ausbaut. Für diese Kooperation konnten wir das Weingut Dr. Corvers-Kauter gewinnen, worüber meine Frau und ich extrem glücklich sind.
Man kann wohl annehmen, dass etliche Winzer im Rheingau ein großes Interesse daran gehabt hätten, Ihre Lagen zu übernehmen. Wie fiel die Wahl gerade auf Corvers-Kauter?
Nun, anfänglich, als wir diese Überlegungen nicht nur angestellt, sondern dann auch angesprochen haben, verbreitete sich das wie ein Lauffeuer. Der eine oder andere fing da vielleicht schon an zu träumen. Wir wollten das aber nicht nur im Hinblick auf unsere eigene Weinproduktion natürlich in die bestmöglichen Hände geben und haben von allen Winzerkollegen, mit denen wir ins Gespräch kamen, auch die Weine verkostet – zuletzt sogar in einer Blindverkostung, um ganz sicher zu gehen. Sowohl meine Frau als auch ich hatten bei den Weinen von Corvers-Kauter sofort das Gefühl: Ja, das passt. Daraufhin haben wir die ganze Familie persönlich kennengelernt und es war einfach toll, zu sehen, mit welcher Akribie und mit wie viel Leidenschaft hier Weinbau betrieben wird. Zudem fühlten wir uns sofort verstanden und richtig gut mitgenommen. Das alles hat uns voll und ganz überzeugt, nicht zuletzt auch der Punkt, dass es sich ja um ein Bio-Weingut handelt.
„Bio“ ist ja gerade im Rheingau noch immer eine Ausnahmeerscheinung. Liegt Ihnen die ökologische Landwirtschaft denn besonders am Herzen?
Doch, das war sicherlich auch ausschlaggebend. Ich selbst bin ja ehemaliger Walldorfschüler und habe beim ältesten landwirtschaftlichen Bio-Betrieb in Deutschland meine Ausbildung gemacht. Das hat mich geprägt und das ökologische Denken liegt mir daher schon immer sehr nahe. Wir haben auch selbst im Weingut immer wieder nach einem Weg gesucht, den Betrieb umzustellen, aber das ist natürlich ein gewaltiger Schritt. Durch diese neue Konstellation haben wir aber nun mit Dr. Corvers einen Winzer an der Seite, der in diesem Thema richtig aufgeht. Und so werden in ein paar Jahren auch unsere Weine alle biozertifiziert sein. Das freut mich persönlich ganz besonders.
Trotz all dem stellt sich natürlich die kritische Frage, ob und wie Ihre Weine in dieser neuen Konstellation an den Stil und das Renommee des berühmten „Weinguts Langwerth von Simmern“ anknüpfen können.
Um das zu gewährleisten, haben wir mit Dr. Corvers einen Weg erarbeitet, unsere eigenen Vorstellungen bestmöglich umzusetzen, und ich vertraue ihm da voll und ganz. Das ist eine sehr enge partnerschaftliche Geschichte. Auch wenn ich selbst nicht mehr ständig hier im Rheingau bin, entscheiden wir gemeinsam, was getan werden muss. Zudem war der Weinbau bei uns ja stets Teamarbeit. Das muss man ganz ehrlich sagen. Bis zuletzt hatten wir immer tolle Leute, die im Außenbetrieb und im Keller für uns tätig waren, während meine Frau sich vorwiegend in der Vermarktung engagierte und ich eher in der Verwaltung. Man muss diesbezüglich – und gerade mit dem Blick auf die Historie – auch mal sehen, dass ich überhaupt der erste Winzer unter den Langwerths war. Meine Vorfahren waren alle eher in der Politik oder im Militär tätig. Es waren oft die Frauen, die das Weingut mit der fachlichen Unterstützung von Gutsverwaltern geführt und damit eine ganz, ganz wichtige Rolle gespielt haben, wie zum Beispiel die Freifrau vom Stein, die das mit Begeisterung tat. Aber ich war eigentlich der erste Langwerth, der das komplett eigenverantwortlich übernommen hat.
"Ich möchte meinen Söhnen irgendwann etwas hinterlassen, auf dessen Basis sie selbst wieder gestalten können, wünsche mir aber auch, dass meine eigene Handschrift rückblickend im positiven Sinne zu sehen sein wird."
Beinahe unwillkürlich kommt man im Gespräch mit Ihnen immer wieder auf die Historie zu sprechen ...
Ja, vielleicht weil sie bei uns einfach allgegenwärtig ist. Aber man wird ja auch von außen immer wieder mit dieser großen Vergangenheit in Beziehung gesetzt – gerade im Hinblick auf den Weinbau. Da ist es natürlich einerseits toll, zu sehen, dass man über Jahrhunderte mit führend war, wenn man zum Beispiel alte Weinkarten betrachtet. Ob im berühmten Berliner Adlon damals oder zur Weltausstellung in St. Louis von 1904 – die Langwerther Weine zählten zu den teuersten der Welt. Aber man muss natürlich auch wissen, dass es seit 1464 nicht immer nur steil bergauf ging. Da gab es natürlich immer Schwankungen, Höhen und auch Tiefen, die aber aus späterer Sicht gerne ausgeblendet werden. Als ich mit 21 Jahren in den Rheingau kam, hat man mir immer nur vorerzählt, wie toll das früher alles war. Und dann wird diese Historie natürlich auch zu einer Belastung. Es ist nicht gerade leicht unter diesen Umständen etwas Eigenes zu machen, zu gestalten und seinen Weg zu finden. Damals in den 80er-Jahren hat sich zudem der Weinstil in Deutschland stark gewandelt. Langwerth von Simmern beziehungsweise der gesamte Rheingau war eigentlich mit edelsüßen Weinen groß geworden und plötzlich musste der Riesling in Deutschland überwiegend trocken ausgebaut werden. Sich da wieder einen Platz zu erarbeiten, war nicht einfach.
Sie haben dennoch erfolgreich dafür gesorgt, dass der Name „Langwerth von Simmern“ der Weinwelt auch künftig erhalten bleibt. Welche Aufgaben warten als nächstes auf Sie?
Zunächst mal müssen wir eines klar und deutlich kommunizieren: Ja, es gibt sie noch, die Langwerther Weine! Aller Unkenrufe zum trotz ist diese Ära keinesfalls zu Ende. Daneben haben wir natürlich nun in Hannover alle Hände voll zu tun. Wir renovieren dort momentan alles. Der ganze Hof wird mit neuem Leben gefüllt, mit einer Familie. Momentan haben wir da bereits einen Eventbereich und natürlich auch den Weinverkauf. Das möchten meine Frau und ich alles weiter vorantreiben und den Hof erlebbar machen. Und wir wollen den Betrieb in vielerlei Hinsicht bereichern, beispielsweise durch eine Destille und große Streuobstwiesen. Wir haben auch bereits Blütestreifen für Bienen an- gelegt und 2.000 Kirschbäume gepflanzt. Auch wollen wir mehr in den Forst investieren und dort andere, ungewöhnlichere Hölzer anbauen.
Was treibt einen Menschen wie Sie dazu an, sich den immer neuen Herausforderungen zu stellen und die Besitztümer nicht einfach zu veräußern, um sich stattdessen ein ruhiges Leben zu gönnen?
Ich glaube, ein tiefes Verantwortungsgefühl gegenüber dem, was meineVorfahren mir hinterlassen haben. Und die Möglichkeit mich selbst in diesem Erbe zu verwirklichen und es eines Tages erfolgreich weiterzureichen. Ökologie ist in diesem Kontext etwas ganz Wichtiges. Da geht es vor allem auch um die nächste Generation – und auch die übernächste. Das ist für einen Betrieb wie den unseren eigentlich die Grundlage allen Wirtschaftens, der Faktor, der am meisten zählt. Trotz oder gerade wegen mancher Widrigkeiten, die es da heute gibt. Unsere Söhne leben ja tagtäglich mit uns, sind bereits erwachsen und bringen sich und ihre Gedanken bereits in viele Diskussionen mit ein. Das ist uns sehr wichtig. Ich möchte ihnen dann irgendwann etwas hinterlassen, auf dessen Basis sie selbst wieder gestalten können, wünsche mir aber auch, dass meine eigene Handschrift rückblickend im positiven Sinne zu sehen sein wird.
Und wenn Sie die ganze Verantwortung einmal für einen Moment vergessen und sich entspannen möchten?
Dann kehre ich heutzutage vor allem innerlich in den Rheingau zurück, freue mich über die vielen schönen Erinnerungen aus über dreißig Jahren, die vielen, vielen großartigen Momente. Da mache ich mir dann gerne eine Flasche unserer Weine auf – sei es aus der Schatzkammer oder auch aus dem aktuellen Jahrgang – und denke mir, was für ein großes Glück es ist, an so etwas Wunderbarem mitwirken zu dürfen.
In der Rheingauer Gerüchteküche hatte schon länger ein brisantes Winzersüppchen gebrodelt. Schließlich schien sich dann zu bestätigen, was viele bereits zu wissen glaubten oder hinter vorgehaltener…
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